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Wenn Pappkartons zu Theatersesseln werden

Performance „Heimat? Straße!“ gibt Einblicke in das Leben von Obdachlosen

Würzburg (POW) Warum und wie leben Menschen auf der Straße? Wie begegnet die Gesellschaft Obdachlosen? Dem ist, anlässlich der Armutswochen der Caritas, die Theater-Performance „Heimat? Straße!“ vom 17. bis 19. Oktober in Würzburg nachgegangen. Das Publikum saß bei den drei vom Diözesan-Caritasverband organisierten Aufführungen des Schauspielerduos Julia Stephanie Schmitt und Boris Ben Siegel nicht in gepolsterten Sesseln, sondern mit Decken auf Pappkartons auf harten Pflastersteinen. Fazit: Ein Perspektivwechsel, der bei den jeweils rund 50 Zuschauenden pro Abend gut ankam.

„Haben Sie einen Berechtigungsschein?“, fragt die Dame am Eingang des Würzburger Caritashauses. Doch selbst wer den Schein – beziehungsweise seine Theaterkarte – vorzeigt, findet keinen Einlass. Die Zurückweisung, wie sie Obdachlose tagtäglich vielfach erleben, ist bereits Teil des Stücks „Heimat? Straße!“. Schmitt, die überzeugend noch viele weitere Rollen einnimmt, schickt als Mitarbeiterin eines Obdachlosenheims das Publikum weiter: „Folgen Sie den ,Notunterkunft‘-Schildern. Vielleicht finden Sie dort noch einen Platz für die Nacht.“

Den Schildern nach geht es ein paar Hundert Meter durch die Würzburger Altstadt zum eigentlichen Spielort, dem Hahnenhof hinter dem Kaufhof. Denn ein für das Thema Obdachlosigkeit authentischer Spielort ist zentraler Bestandteil des Stücks, das Schmitt und Siegel bereits in anderen Städten aufgeführt haben, etwa in Stuttgart. Doch jede Aufführung ist anders. Die Schauspieler recherchieren vorab in Einrichtungen der Obdachlosenhilfe. In Würzburg haben sie unter anderem in der Wärmestube der ökumenischen Christophorus Gesellschaft Gespräche mit Betroffenen geführt.

Die Vor-Ort-Recherchen sind das Herzstück der Aufführung. Das wird gleich zu Beginn klar, als Schmitt und Siegel einen ihrer vielen fiktiven, aber realitätsnahen Dialoge führen. „Als Penner kriegst du nichts geschenkt“, sagt Siegel als Obdachloser. Um ihn herum sitzt das Publikum größtenteils auf Pappkartons auf dem blanken Boden, jede und jeder mit einer dicken Decke – Theater als echter Perspektivwechsel.

Schmitt mimt zu Beginn ebenfalls eine Obdachlose, die wie viele Menschen auf der Straße Flaschen sammelt. „Vieles im Leben ist halt anders vorgefallen als vorgesehen“, erklärt sie ihre Situation. Dann ein Szenenwechsel unter Beteiligung des Publikums: „Ich habe Heimweh, aber ich gehe nicht heim. Ich traue mich nicht“, liest jemand vor. „Man hat keine Privatsphäre auf der Straße“, liest jemand anderes.  

Dann schlüpfen Schmitt und Siegel in schnellem Wechsel in unterschiedliche Rollen: der Elektriker, der seine Mutter pflegte und erst arbeits- und dann obdachlos wurde, die Sozialarbeiterin, die die Gespräche mit den Notleidenden stark mitnehmen, der Vater, der ob seines obdachlosen Kinds verzweifelt, der ehemals Obdachlose, der nun als Schichtleiter im Supermarkt arbeitet, oder die Polizisten, die abgeklärt von „OFW – Menschen ohne festen Wohnsitz“ sprechen. Alles sorgsam recherchiert, alles überzeugend. Und selbst die Pause ist schließlich Teil der Performance: Schlange stehen in einer Suppenküche.  

Urplötzlich bricht dann ein Streit aus: „Was hast du da in der Tasche? Brot?“, fragt Schmitt aggressiv. „Das geht dich gar nichts an“, antwortet Siegel lauter. Und wie aus dem Nichts fliegen zwischen den Schauspielern die Fetzen. Das Publikum ist verdutzt, tauscht betroffene Blicke. Danach sagt Siegel in der Rolle eines Pfarrers: „Ich wünsche mir, dass wir diese Menschen ernst nehmen.“ Seine Kollegin zählt Gründe auf, warum 263.000 Menschen in Deutschland auf der Straße leben: Arbeitsplatzverlust, schwere Krankheiten, Trennungen, Gefängnis oder Altersarmut.

„Wir sind alle Menschen. Und die einen Menschen machen die anderen Menschen kaputt“, hatte Schmitt in einer früheren Szene gesagt. Wie ihr Kollege trägt auch sie die ganze Aufführung über ein T-Shirt mit einem vermeintlich simplen Aufdruck: „Mensch“ steht da – „Mensch“, und nicht „Penner“. Am Ende gab es dafür viel Applaus.

Bei seinem Besuch am zweiten Aufführungsabend dankte Domkapitular Monsignore Clemens Bieber, Vorsitzender des Diözesan-Caritasverbandes Würzburg, dem Publikum für das Interesse am Thema. Menschen am Rand der Gesellschaft würden oft vergessen. Sich mit Obdachlosigkeit auseinanderzusetzen sei „keine Selbstverständlichkeit“.

Bereits am ersten Abend hatte Dr. Eugen Ehmann, Regierungspräsident von Unterfranken und Schirmherr der Veranstaltung, betont: „Durch Ihr Interesse tragen Sie dazu bei, das Thema in die Mitte der Gesellschaft zu stellen.“ Der Caritas dankte er für ihren Einsatz im Sinne der Nächstenliebe. Ein Einsatz, den hinsichtlich der Theater-Performance die Stadt Würzburg, die Kulturförderung des Bezirks Unterfranken und die Sparkasse Mainfranken finanziell unterstützt hatten. Die Geschäftsführung der Würzburger Galeria-Kaufhof-Filiale hatte maßgeblich den außergewöhnlichen Spielort ermöglicht – der das Publikum auf den Pappkartons authentisch in die Welt obdachloser Menschen blicken ließ.

hela (Caritas)

(4324/1117; E-Mail voraus)

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