Diese Kiliani-Wallfahrtswoche steht unter dem Leitgedanken „…damit ihr ein Segen seid“ (Sach 8,13). Dieser kleine Satz aus dem Buch des Propheten Sacharja birgt eine abgründige Tiefe, die es auszuloten gilt.
Es ist unsere Berufung, ein Segen zu sein und für andere zum Segen zu werden. Das geht aber nicht voraussetzungslos. Beim Propheten Sacharja wird – ebenso wie bei unseren Frankenaposteln – deutlich, dass Gottes Handeln an uns vorausgehen muss, damit wir zum Segen werden können. Gott selbst führt bei Sacharja die Wende vom Unheil zum Heil herbei, so wie er bei Kilian und seinen Gefährten durch die Berufung zu Missionaren im Frankenland den Glauben einwurzeln ließ. Gott befreit und bringt heim; er sät Heil und schenkt Rettung, damit sein Volk ein Segen sein kann (vgl. Sach 8,7-13). Um selbst Segen sein zu können, ist Offenheit Gott gegenüber notwendig, damit er uns zunächst mit seinem Segen beschenken kann.
Auch die Menschen unserer Tage haben Sehnsucht nach Segen. Vieles in unserer Welt empfinden wir als brüchig, gefährdet und schmerzlich. Aber das war wahrscheinlich schon zu allen Zeiten so. Für mich wird die große Sehnsucht nach dem Segen Gottes in dramatischer Weise in der Erzählung von Jakobs Kampf am Jabbok deutlich. Ist schon die ganze Lebensgeschichte des Jakob ein Kampf und ein Ringen um Segen – zum Teil sogar mit unlauteren Mitteln – so wird diese Sehnsucht nach Segen hier in besonderer Weise existentiell.
Jakob steht nach Jahren von Flucht und Exil vor der Begegnung mit seinem Bruder Esau, den er um das Erstgeburtsrecht und den damit verbundenen väterlichen Segen betrogen hatte. Das Ende der Nacht und der Fluss Jabbok als Grenze markieren einen Übergang in etwas Ungewisses. Keiner weiß oder kann ahnen, wie die Begegnung mit dem betrogenen Bruder ausgehen wird. Das Ringen mit der eigenen Entscheidung, der eigenen Geschichte, wird zu einem Ringen mit Gott selbst. Das Buch Genesis erzählt: Es „rang mit ihm (Jakob) ein Mann, bis die Morgenröte aufstieg. Als der Mann sah, dass er ihm nicht beikommen konnte, schlug er ihn aufs Hüftgelenk. Jakobs Hüfte renkte sich aus, als er mit ihm rang. Der Mann sagte: Lass mich los; denn die Morgenröte ist aufgestiegen. Jakob aber entgegnete: Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest. Jener fragte: Wie heißt du? Jakob, antwortete er. Da sprach der Mann: Nicht mehr Jakob wird man dich nennen, sondern Israel (Gottesstreiter); denn mit Gott und Menschen hast du gestritten und hast gewonnen. Nun fragte Jakob: Nenne mir doch deinen Namen! Jener entgegnete: Was fragst du mich nach meinem Namen? Dann segnete er ihn dort.“ (Gen 32,25b-30)
Jakob ringt Gott den Segen ab und bekommt dabei einen neuen Namen ‚Israel – Gottesstreiter’. Er ist ein Gesegneter – aber zugleich auch ein Gezeichneter.
Die Begegnung mit Gott geht nie spurlos an einem Menschen vorüber. Mit dem neuen Namen und dem göttlichen Segen bekommt er aber auch einen neuen Anfang geschenkt.
Was aber bedeutet es, ein Segen zu sein? Ist das nicht eine übergroße Herausforderung, letztlich eine Überforderung?
Was es bedeutet, so zu leben, dass man zum Segen wird, findet sich im Anschluss an diesen Satz beim Propheten Sacharja: „Das sind die Dinge, die ihr tun sollt: Sagt untereinander die Wahrheit! Fällt an euren Stadttoren Urteile, die der Wahrheit entsprechen und dem Frieden dienen. Plant in eurem Herzen nichts Böses gegen euren Nächsten, und liebt keine verlogenen Schwüre! Denn das alles hasse ich – Spruch des Herrn.“ (Sach 8,16f.) Die Wahrheit leben ist ein erster Schritt, um ein Segen zu sein.
Ein weiterer Zeuge für das, was es heißt, ein Segen zu sein, ist der Völkerapostel Paulus, dessen Geburtstag vor 2000 Jahren wir im gerade vergangenen Paulusjahr besonders gedacht haben. Seine Bekehrung und Berufung durch Jesus Christus vor Damaskus war das befreiende Moment, das aus dem Christenverfolger einen Christusverkünder gemacht hat. So ist er bis heute für uns zum Segen geworden. Er selbst weiß sich als Gesegneter aber auch zugleich als Gezeichneter, spricht er doch von einem Stachel im Fleisch, der ihn quält (vgl. 2 Kor 12,7). Wieder steht zuerst Gottes Handeln da, aus dem Berufung erwächst und damit der Auftrag, zum Segen für andere zu werden.
Auch unsere Frankenapostel, Kilian, Kolonat und Totnan, stehen als von Gott Berufene und Gesandte als Zeugen für den Auftrag ein, für andere zu einem Segen zu werden. Weil sie im siebten Jahrhundert in Irland den Aufruf Christi vernommen und angenommen haben, alles zu verlassen und für Christus selbst das eigene Leben hinzugeben, haben sie sich auf den Weg zum Festland gemacht und bei uns im Frankenland den Glauben bis in den Märtyrertod hinein bezeugt. So sind sie uns zu einem bleibenden Segen geworden. Die vor wenigen Tagen nach einer langen Renovierungsphase wiedereröffnete Neumünsterkirche, Ort ihres Martyriums und Begräbnisses, macht deutlich, welchen hohen Stellenwert diese Glaubensboten bei uns gerade auch als Diözesanpatrone einnehmen. Unsere Kiliani-Wallfahrtswoche, die gerade begonnen hat, belegt dies ebenfalls eindrucksvoll.
Ich möchte aber in diesem Priesterjahr noch auf einen Zeugen und Märtyrer unserer Zeit zu sprechen kommen, der uns zum Segen wurde: Pfarrer Georg Häfner (1900-1942). Seine und Pater Engelmar Unzeitigs Seligsprechung stehen bald bevor.
Georg Häfner war sein Leben lang von der Erfahrung der Gegenwart Gottes geprägt. Bischof Josef Stangl nannte es das „Daheimsein bei Gott“. „Die Eingeborgenheit in Gott bestimmt sein Leben von der Kindheit an über sein priesterliches Wirken in den verschiedenen Gemeinden bis in sein Hinsterben im Konzentrationslager in Dachau“ schreibt Monsignore Putz, der Postulator des bischöflichen Erhebungsverfahren (Die Wiederentdeckung der Innenwelt, 11)
Als Pfarrer Georg Häfner von den Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert wurde und damit von seiner Pfarrei in Oberschwarzach schmerzlich getrennt war, schrieb er in den 16 Briefen an seine Pfarrangehörigen viel Ermutigendes, Trost und Anteilnahme am Leben der Einzelnen – trotz seiner eigenen demütigenden und qualvollen Lebenssituation, die er für die anderen aufopferte. Die Sorge um den Glauben seiner ihm Anvertrauten bestimmte den Grundton seiner Schreiben. Zum Beispiel heißt es einmal: „Keinem Menschen wollen wir fluchen, keinem etwas nachtragen, mit allen wollen wir gut sein“ (Ebd. 22). So wurde er zum Segen für uns!
Liebe Schwestern und Brüder,
diese Kiliani-Wallfahrtswoche ist ein erneuter Aufruf an uns, zum Segen für andere zu werden. Holen wir uns hier und jetzt Ermutigung, Kraft und Zuversicht, damit die eben gehörte Bergpredigt (Mt 5,1-12a) auch bei uns greift und uns erkennen lässt: „Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.“ (Mt 5,12a). Amen.